leseprobe aus "das denkende herz"
19. februar 1942, donnerstag mittag, 2 uhr.
was heute den größten eindruck auf mich gemacht hat, waren die großen lilafarbenen winterhände von jan bool. wieder war jemand zu tode gefoltert worden, der sanftmütige mann von cultura. ich erinnere mich noch, dass er mandoline spielte. seinerzeit hatte er ein nettes mädchen, das inzwischen seine frau geworden ist, und ein kind ist auch da. "die bestien", sagte jan bool auf dem vollen korridor der universität. sie haben ihn kaputtgemacht. wie auch jan romein und tielroy und noch einige andere zerbrechliche alte professoren. in derselben veluwe-landschaft, in der sie früher ihre sommerferien in einer freundlichen pension verbrachten, leben sie jetzt in einer zugigen baracke als gefangene. sie dürfen nicht einmal ihren eigenen pyjama tragen, sie dürfen nichts von ihrem eigentum behalten, erzählte aleida schott im kaffeezimmer. sie sollen dadurch völlig verstört werden und ein minderwertigkeitsgefühl bekommen. [...]
es war heute morgen sehr trostlos im college. aber doch nicht völlig trostlos, einen lichtblick gab es. ein kurzes, zufälliges gespräch mit jan bool in der kalten, engen langebrugsteeg und an der straßenbahnhaltestelle. "was ist das im menschen, das die anderen vernichten will?" fragte jan verbittert.
ich sagte: "die menschen, ja die menschen, aber denke daran, dass du auch zu ihnen gehörst." und gegen meine erwartung gab er das zu, er, der bockige, mürrische jan. "und die schlechtigkeit der anderen ist auch in uns vorhanden", predigte ich weiter. "ich sehe keine andere lösung, ich sehe wirklich keine andere lösung, als sich dem eigenen inneren zuzuwenden und dort all das schlechte auszurotten. ich glaube nicht mehr daran, dass wir an der äußeren welt etwas verbessern können, solange wir uns nicht selbst im inneren gebessert haben. das scheint mir die einzige lehre dieses krieges zu sein. dass wir gelernt haben, das übel nur in uns selbst zu suchen und nirgendwo anders."
und jan stimmte mir ausnahmsweise zu, er war zugänglich und stellte fragen, statt mir wie früher mit knochenharten sozialen theorien zu kommen. und er sagte: "es ist so schäbig, sich seinen rachegefühlen zu überlassen. sein leben nur auf den einen augenblick der rache auszurichten. das nützt uns doch auch nichts."
wir standen in der kälte und warteten auf die straßenbahn, jan mit seinen großen lilafarbenen winterhänden und zahnschmerzen. und es waren keineswegs theorien, die wir verkündeten. unsere professoren sind verhaftet, wieder war ein freund von jan umgebracht worden, und noch viel anderes könnte man aufzählen. und wir sagten zueinander: "die rachegefühle sind so schäbig." das ist heutzutage doch wirklich ein lichtblick.
(s. 91f)