leseproben aus "anleitung zum glücklichsein"
von kenneth s. leong

zauberschüler (s.39)

ein schüler eines magiers traf auf einen zen-schüler und erzählte ihm voller begeisterung von der kunst, die er erlernte. er berichtete dem zen-schüler von den übernatürlichen kräften seines meisters. "stell dir nur vor", sagte er zu seinem neuen freund, "wenn ich meine lehrzeit beendet habe, kann ich praktisch alles bekommen, was ich nur möchte!"
"ach ja?", meinte der zen-schüler und schien nicht sonderlich beeindruckt. daraufhin wollte der schüler des magiers wissen, was denn der meister des zen-schülers könne.
"mein meister hat keine übernatürlichen kräfte", sagte der zen-schüler, "und ich habe nicht gelernt, wie ich bekomme, was ich mir wünsche. ich habe aber gelernt, mir das zu wünschen, was ich sowieso habe, und glücklich zu sein".

das senfkorn (s.111)

bei einem treffen verschiedener religionen traf ein christ auf einen zen-meister. der christ erzählte dem zen-meister, wie jesus lazarus von den toten auferweckte, und wollte von dem meister wissen, ob es in der buddhistischen überlieferung ähnliche wunder gebe.
der meister sagte: "nein, aber wir haben eine geschichte, in der der buddha eine frau heilt, die ihren sohn verloren hat. die frau hieß kisa gotami. sie war eine arme waise, der es aber irgendwie gelungen war, in eine reiche familie einzuheiraten. nun starb ihr einziges kind, ihr kleiner sohn. das traf sie so tief, dass sie den verstand verlor und den kleinen leichnam mit sich durch die stadt trug. sie bat die menschen um medizin, und einige mitfühlende menschen schichten sie zum buddha."
"und was geschah dann? konnte ihr der buddha helfen?", fragte der christ.
"der buddha trug ihr auf, von haus zu haus zu gehen und um heilkräftige senfkörner zu bitten. eine bedingung musste allerdings erfüllt sein - die senfkörner waren nur wirksam, wenn sie aus einem haus kamen, in dem noch nie ein geliebter mensch gestorben war."
"hat sie ein solches haus gefunden?", erkundigte sich der christ.
"nein", antwortete der meister. "kisa ging von tür zu tür und suchte den ganzen tag nach diesem heilmittel. am abend ließ sie sich, erschöpft vom vielen wandern, am wegrand nieder. das heilmittel aber, das sie brauchte, hatte sie nicht gefunden."
"also konnte ihr der buddha doch nicht helfen", sagte der christ.
"das stimmt auch nicht", entgegnete der meister. "man sagt, dass kisa gänzlich erleuchtet wurde."
"wie das?", rief der christ ungläubig. "ihr sagt doch, sie hat nichts gefunden."
der meister lächelte und sagte: "ja und nein. als kisa darüber nachdachte, was sie auf ihrer suche erlebt hatte, wurde ihr klar, dass es keine familie gab, die nicht ein kind, einen ehepartner, ein elternteil oder einen freund verloren hätte. sie hatte den schmerz in den augen der menschen sehen können und war davon tief bewegt. der kummer der anderen half ihr in überraschender weise auf ihrem weg. durch ihr mitgefühl erreichte sie erleuchtung."
"dann wurde kisa also geheilt?", fragte der christ.
"ja", antwortete der meister. "heilung erreichen wir nicht, wenn wir gegen die wirklichkeit ankämpfen, sondern wenn wir sie annehmen."