leseprobe aus "konflikte lösen durch gewaltfreie kommunikation"
gabriele seils:
ich glaube, es ist gar nicht so einfach, auf belohnung zu verzichten, besonders für eltern. und oft ist es doch auch mit echter freude verbunden, wenn eltern zu ihren kindern sagen, das hast du toll gemacht.

marshall rosenberg:
wenn ich sage: "das hast du toll gemacht", dann tue ich so, als würde ich wissen, wann etwas toll ist und wann es nicht so toll ist. dann benutze ich wolfssprache, um meine freude oder dankbarkeit auszudrücken. ich würde als elternteil mehr davon haben und das kind würde klarer spüren, was ich meine, wenn ich ihm sagen würde, wie ich mich damit fühle, was das kind gemacht hat und welche bedürfnisse es erfüllt. das würde ich mit jedem menschen so machen, aber ich denke, für kinder ist es besonders wichtig, nicht mit dem bild aufzuwachsen, dass erwachsene wissen, wann sie etwas gut gemacht haben und wann nicht und dass sie danach bewertet werden, in welchem maß das, was sie tun, als gut, richtig oder toll beurteilt wird.
und wenn mein wert davon abhängig ist, ob mich jemand lobt, dann ist mein selbstwert gleich null. dann gebe ich all meine macht in die hände von anderen.
als mir zum ersten mal bewusst wurde, wie gefährlich belohnung ist, waren meine kinder noch ziemlich klein, und ich habe mich gefragt, ob ich eigentlich selber frei davon bin, dinge zu sagen wie "ich hab dich lieb, wenn..." . und um das zu prüfen, habe ich meinen dreijährigen sohn gefragt: "hey, brad, warum hat der papa dich lieb?" "weil ich nicht mehr in die windeln mache?" mich erfasste eine tiefe traurigkeit – ich hatte also selber dieses denksystem weitergegeben, mit sätzen wie "was für ein guter junge, er macht sein geschäfft in die toilette." also habe ich zu meinem sohn gesagt: "naja, ich schätze das sehr, wenn du das tust, aber das ist nicht der grund, warum ich dich lieb habe." er sagte: "weil ich das essen nicht mehr auf den boden schmeiße?" wir hatten kurz vorher eine auseinandersetzung darüber gehabt, was man mit essen macht, das man nicht essen möchte. und ich sagte: "ich schätze es auch, wenn du das essen auf dem teller lässt, aber das ist nicht der grund warum ich dich lieb habe." da fiel ihm nichts mehr ein. er wurde sehr nachdenklich und fragte. "papa, warum hast du mich lieb?" ich dachte, warum lässt du dich eigentlich mit einem dreijährigen auf eine diskussion über bedingungslose liebe ein? und ich habe ihm geantwortet: "naja, ich liebe dich halt einfach, ich liebe dich, weil du du bist." und er hat es verstanden. das konzept ist bei ihm angekommen. die wunderschöne idee, das du nicht dafür geliebt wirst, was du tust, sondern dafür wer du bist. ihm gefiel das, seine augen leuchteten: "papa, dann hast du mich lieb, weil ich ich bin?" und ich sagte: "ja, genau." in den nächsten zwei tagen hat er mich beinahe in den wahnsinn getrieben. er kam alle zehn minuten angerannt: "papa? du hast mich lieb, weil ich ich bin!"
(aus dem kapitel "kinder gewaltfrei erziehen - stellen sie sich vor, ihr kind wäre gandhi", s. 97f)